2. Sonntag nach Epiphanias – 20. Jänner 2019
Weinbergkirche
Predigttext: Römer 12, 9-16
Gnade
sei mit euch und Friede
von dem, der da ist und der da war und
der da kommt.
Liebe
Gemeinde!
Es
könnte ja sein, dass wir jemandem das Wesentliche
unseres evangelischen Glaubens
erklären sollen/wollen (Gespräch mit Katholiken, Moslems …). 1.
Petrus 3, 15-16:
Seid
allezeit bereit zur Verantwortung vor jedermann, der von euch
Rechenschaft fordert über die Hoffnung,
die in euch ist, und das mit
Sanftmut und Gottesfurcht
…Da
empfiehlt es sich beispielsweise, unser Gesangbuch
unter Nr. 806.2
aufzuschlagen und dort aus dem 20. Artikel des Augsburger
Bekenntnisses (25. Juni 1530, Reichstag zu Augsburg, Philipp
Melanchthon im Auftrag Kaiser Karls V.) folgende markanten Sätze
zitieren:
Artikel
20: Vom
Glauben und guten Werken
Den
Unseren (= den Evangelischen) wird in unwahrer Weise nachgesagt, dass
sie gute Werke verbieten. Das
stimmt nicht, aber
man hat bisher (= vor der Reformation) in allen Predigten vor allem
zu kindischen, unnötigen Werken, wie Rosenkränze, Mönchwerden,
Heiligenverehrung, Wallfahrten, Fastenordnungen usw. angetrieben. …
Weil nun die Lehre vom Glauben, die das Hauptstück im christlichen
Wesen ist, lange Zeit nicht betrieben worden ist, sondern überall
allein die Lehre von den Werken gepredigt wurde (Luther – einer der
Hauptgründe der Reformation Ablasskauf als „gutes Werk“), ist
von den Unseren (= den Evangelischen) folgende Unterrichtung gegeben
worden:
Erstens,
dass unsere Werke uns nicht mit Gott versöhnen und uns nicht Gnade
erwerben können, sondern das geschieht allein
durch den Glauben
(SOLA FIDE) – wenn man nämlich glaubt, dass uns um Christi willen
die Sünden vergeben werden, der allein
der Mittler ist, um den Vater zu versöhnen. Wer nun meint, das durch
Werke
zu erreichen und dadurch
Gnade zu verdienen, der verachtet Christus und sucht einen eigenen
Weg zu Gott gegen das Evangelium.
Aber
es wird bei uns (Evangelischen) gelehrt, dass gute Werke geschehen
sollen
und müssen,
aber nicht, dass man darauf vertraut, durch sie Gnade zu verdienen,
sondern um Gottes willen und zu Gottes Lob. Der Glaube ergreift immer
nur die Gnade und die Vergebung der Sünde; und weil durch den
Glauben der Heilige Geist gegeben wird, darum wird auch das Herz
befähigt, gute Werke zu tun usw.
Dieses
Augsburger Bekenntnis beruft sich immer wieder auf den Apostel
Paulus,
etwa auf den wohl mehr als klaren Satz aus Eph.2,8: „Aus
Gnade seid ihr selig geworden durch den Glauben, und das nicht aus
euch, sondern Gottes Gabe ist es, nicht aus Werken, damit sich
niemand rühme.“
So
wird es wohl gleich recht spannend zu lesen, was nun „unser“
Paulus
als jene guten (und nicht „kindische, unnötige“) Werke
betrachtet, die wie selbstverständlich, „automatisch“ aus dem
Glauben fließen, „Werke“, nicht
um uns das ewige Seelenheil zu schaffen, sondern
gleichsam Kennzeichen, Erkennungsmerkmale
einer Christin und eines Christen.
Genau
das ist die für heute vorgesehene Predigtstelle:
Römer
12, 9-16:
9 Die Liebe sei ohne Falsch. Hasst das Böse, hängt dem Guten an.
10 Die brüderliche Liebe untereinander sei herzlich. Einer komme
dem andern mit Ehrerbietung zuvor.
11 Seid nicht träge in dem, was ihr tun sollt. Seid brennend im
Geist. Dient dem Herrn.
12 Seid fröhlich in Hoffnung, geduldig in Trübsal, beharrlich im
Gebet.
13 Nehmt euch der Nöte der Heiligen an. (= alle, die ihr
Vertrauen auf Christus setzen) Übt Gastfreundschaft.
14 Segnet, die euch verfolgen; segnet, und verflucht sie nicht.
15 Freut euch mit den Fröhlichen, weint mit den Weinenden.
16 Seid eines Sinnes untereinander. Trachtet nicht nach hohen
Dingen, sondern haltet euch zu den niedrigen. Haltet euch nicht
selbst für klug.
Herr, bitte hilf uns, so zu
leben. AMEN
Liebe
Gemeinde!
Da
haben wir jetzt ein Problem, denn: Alle diese Sätze sind doch als
Aufforderungen formuliert, grammatikalisch mitunter sogar als
Befehlsformen. Werden wir hier also doch zu „guten Werken“
aufgefordert – widerspricht sich damit Paulus also selbst, wo sich
doch unser Martin Luther ganz ausdrücklich auf Paulus
beruft, wenn er betont, es komme nur auf den Glauben an SOLA
FIDE und nur auf die Gnade Gottes SOLA GRATIA?
Vielleicht
liegt die Lösung bereits in einer Vorfrage, wie wir die Zehn
Gebote zu lesen
haben, jene Gebote, bei denen uns manchmal die Gebote „du sollst“
und die Verbote „du sollst nicht“ unangenehm klingen. Aber:
.
1. Im Hebräischen ist nicht
von Zehn Geboten
die Rede, sondern immer von Zehn
Worten
(griechisch: Dekalog). Zehn Worte. Die Verschiebung hin zu Zehn
Geboten ist nicht glücklich; sie suggeriert Gebots- und
Verbotsmoral.
2.
Der alles entscheidende Satz ist der erste, die Präambel, der
Fundament-Satz. Von ihm her ist alles zu verstehen. Dieser Satz
lautet: „Ich bin
der Herr, dein Gott, der dich aus Ägypten herausgeführt hat, aus
dem Sklavenhaus“.
Das ist die Grunderfahrung Israels, die alles prägt. Sie ist das
Vorzeichen vor allem, auch das Vorzeichen vor den folgenden 10 Worten
oder Weisungen.
D.h.:
Am Anfang
steht das befreiende Wirken Gottes an dem versklavten, bedrängten
kleinen Volk Israel. Am Anfang steht das, was Gott gibt, was Israel
empfängt, was es Gott verdankt (es verdankt sich ganz Gott, ohne ihn
wäre es nicht).
Und
was folgt,
ist die Konsequenz auf Seiten des Volkes: Wenn du das beherzigst und
ernst nimmst, dass du dich Gott verdankst, dann läufst du nicht
andern Göttern nach und dann hältst du dich an die
lebensfreundliche WegWeisung, die ich dir gebe.
Dieser
Zusammenhang ist wichtig: Zuerst die Erinnerung an die eigene
Befreiung, dann (als innere Folge und Frucht) das entsprechende Leben
und Handeln.
Dieser
Zusammenhang wird leider in unserm Katechismus nicht mehr erkennbar.
Denn da wird die Präambel, der Fundament-Satz, verkürzt, ja
verstümmelt in die dürre Formel: „Ich bin der Herr, dein Gott. Du
sollst keine andern Götter neben mir haben. Usw.“ D.h. alles wird
auf die Kommando-Gewalt Gottes hin ausgelegt, auf Befehl und
Gehorsam. Gottes Vorgabe ist vergessen, die Vorgabe, auf der alles
ruht.
Man
hätte im Katechismus wenigstens sagen müssen: Ich bin der Herr,
dein Gott, der dich trägt, dich hält, dich frei macht; deswegen
dann: du sollst….
3.
Aber im Hebräischen steht eigentlich gar nicht „du sollst“ und
„du sollst nicht“ (z.B. du sollst nicht töten) usw. Die
hebräische Wortform kann zweierlei heißen:
a)
„du wirst nicht töten“ oder auch einfach im Präsens „du
tötest nicht“ (Futur und Präsens sind im Hebräischen nicht
unterschieden),
b)
„du sollst nicht töten“ – so übersetzen die meisten heutigen
Bibelübersetzungen.
Aber
die Frage ist ja: Wie haben die Israeliten, die Juden, das damals
verstanden? Da hilft ein Blick in die sogenannte Septuaginta (LXX),
die griechische Übersetzung des hebräischen AT, die um 200 v. Chr.
angefertigt worden ist. Die damaligen jüdischen Übersetzer aus dem
Hebräischen ins Griechische übersetzen nämlich nicht mit „du
sollst nicht“, sondern immer mit „du wirst nicht (töten, Ehe
brechen, den Nächsten verleumden usw.)“.
D.h.,
sie verstanden den Text so: Wenn du das ernst nimmst, dass Gott dich
befreit hat, wenn du Gott ernst nimmst, dann wirst du nicht töten,
dann wirst du den andern nicht verleumden usw. Oder auch einfach:
Wenn du Gott ernst nimmst, dann tötest du einfach nicht, dann
verleumdest du den andern nicht, usw.
Vielleicht
ist es dann gar nicht mehr so wichtig, ob man „du wirst“ oder „du
sollst“ übersetzt. Denn es geht dann immer nur um die Konsequenz
daraus, dass man Gott ernst nimmt, von ihm sich befreit, bejaht,
angenommen weiß. Die innere Folge und Frucht davon ist dann, dass
man sich selber mehr bejahen, mehr annehmen kann und den Anderen auch
(„den Nächsten lieben wie sich selbst“: Lev 19,18). Dann kannst
du den andern nicht töten, nicht verleumden, du sollst es nicht und
du wirst es nicht, du tust es einfach nicht. Gottes Vorgabe, sein Ja
zu uns ruft unser Ja zu Gott und zugleich unser Ja zum Mitmenschen
hervor.
Deshalb
kann Jesus dann alle „Gebote“ zusammenfassen in die zwei (die er
aus Dtn 6,4 und Lev 19,18 nimmt): „Du
wirst den Herrn, deinen Gott, lieben aus ganzem Herzen … und deinen
Nächsten wie dich selbst“
(Mk 12,29-31).
Nochmals:
Wir sollten uns unbedingt in dieses Wort versenken: 1) Ich
bin = JAHWE 2) der Herr = der Schöpfer des Universums und des
Lebens, der Lebendige, den wir auch heute im CREDO bekannt haben 3)
dein Gott = ich gehöre dir und du gehörst mir, du
hast alles durch mich, durch mich gehört dir Zeit und Raum, durch
mich bist du unendlich reich … dann kann die Fortsetzung nur
lauten: du wirst keine anderen Götter neben mir haben
(grammatikalisch richtig), denn du brauchst nichts anderes als mich,
und durch mich bist du unendlich frei, erlöst, gerettet, für alle
Ewigkeit.
Und
wenn wir nun von eben diesem Wort ausgehen, dann dürfen wir auch
unsere heutige Predigtstelle anders lesen, denn dann geht es nicht
mehr um Aufforderungen, sondern um liebevolle Feststellungen: Futurum
statt Imperativ = Mutter zum Schulkind: du wirst jetzt deine
Hausübungen machen.
Wie hat unsere Predigtstelle begonnen?: 9 Eure Liebe sei ohne
Falsch. Hasst das Böse, hängt dem Guten an.
10
Die brüderliche Liebe untereinander sei herzlich.
„Hoffnung
für alle“:
Daher
einmal die ganze Stelle im Indikativ, als einfache Feststellung von
Tatsachen – werde, was du bist! – mit Hilfe der Übersetzung
der “Hoffnung für alle“. Paulus an die Gemeinde der
Weinberg-Kirche:
Eure Liebe ist aufrichtig. Und wie ihr ja das Böse hasst, so
liebt ihr das Gute.
Ihr seid in herzlicher Liebe miteinander verbunden; gegenseitige
Achtung bestimmt euer Zusammenleben.
Ihr bewältigt eure Aufgaben mit Fleiß und werdet nicht
nachlässig. Ihr lasst euch ganz vom Geist Gottes durchdringen und
dient Gott, dem Herrn.
Ihr seid fröhlich in der Hoffnung darauf, dass Gott seine Zusagen
erfüllt. Ihr bleibt standhaft, wenn ihr verfolgt werdet. Und ihr
lasst euch durch nichts vom Gebet abbringen.
Ihr helft anderen Christen, die in Not geraten sind, und ihr seid
gastfreundlich.
Ihr bittet Gott um seinen Segen für alle, die euch verfolgen, ja,
ihr segnet sie, anstatt sie zu verfluchen.
Ihr freut euch mit den Fröhlichen, aber ihr weint auch mit den
Traurigen.
Ihr seid einmütig untereinander. Ihr strebt nicht hoch hinaus und
seid euch auch für geringe Aufgaben nicht zu schade. Ihr hütet
euch, auf andere herabzusehen.
Das ist wie einer dieser herrlichen römischen Brunnen: Ganz oben
strömt das Wasser heraus. Es füllt eine Schale, die darunter liegt.
Wenn diese Schale gefüllt ist, dann – und erst dann! – läuft
das Wasser aus der Schale heraus und füllt die darunter liegende
Schale. Das Wasser muss nicht etwa dazu ermahnt werden, über den
Rand der Schale hinaus zufließen und sich zu verströmen. Nein, es
passiert von selbst, es geht gar nicht anders. Denn eine volle Schale
läuft nun einmal über und gibt das Wasser ab.
Wenn aber Paulus in unserer Predigtstelle doch Imperative verwendet,
dann drückt er damit wohl nur seinen sehnlichen Wunsch aus,
dass wir wirklich das seien, was wir als Christen sind; Wir sollen
also das werden, was wir ohnedies schon sind.
Seid nicht träge in dem,
was ihr tun sollt.
Seid brennend im
Geist. Das aber
ist ein reines Geschenk von Gott. Denn wirkliche Christen haben nicht
nur einige gute Erkenntnisse über Gott und einige gute Vorsätze für
ihr Leben, sondern „es lodert in ihnen die himmlische Flamme,
entzündet von oben, genähret von dort“ (altes
Lied: Christoph Friedrich Richter).
Sonst
sind sie wohl Adams natürliche Kinder
und
tragen das Bildnis des Irdischen auch;
sie
leiden am Fleische wie andere Sünder,
sie
essen und trinken nach nötigem Brauch;
in
leiblichen Sachen, in Schlafen und Wachen
sieht
man sie vor anderen nichts Sonderlichs machen,
nur
dass sie die Torheit der Weltlust verlachen.
Doch
innerlich sind sie aus göttlichen Stamme,
geboren
aus Gott durch sein mächtiges Wort;
es
lodert in ihnen die himmlische Flamme,
entzündet
von oben, genähret von dort.